Von Trauer zur Freude
von Joachim Stroppel
„Wenn das doch immer nur so einfach wäre! Wenn es da doch so ein Patentrezept gäbe, wie man den „Schalter“ einfach umlegen kann!“ So mag mancher denken, der in einem derartigen Prozess steht. Apropos Prozess, ich glaube, dieser Begriff beschreibt sehr gut, um was es hier geht. Um von Trauer zur Freude zu gelangen, gibt es keine schnellen Lösungen. Weder mit aufgesetzter Fröhlichkeit noch dem vermeintlich frommen Denken, ein Christ müsse doch immer froh und zuversichtlich daherkommen.
Nein, unser Leben spricht eine andere Sprache. Besonders in Momenten, in denen uns der Boden unter den Füßen wie weggezogen erscheint und wir Gefühle in uns wahrnehmen, die uns bisher in dieser starken Intensität eher unbekannt waren. Nicht selten lassen Schicksalsschläge wie Krankheit oder der Verlust eines lieben Menschen, Beziehungsdramen, durch die die Lebensgrundlage zerbrochen ist und tiefe innere Verletzungen entstanden sind, oder eben die Feststellung, dass man sich von dem einen oder anderen Lebenstraum verabschieden muss, tiefen Schmerz und Traurigkeit zurück. Mit Sätzen wie: „Das kann doch gar nicht wahr sein“, „gestern war doch noch alles gut“, „wir hatten doch noch so viele Pläne“, „das ist sicher nur ein schlechter Traum“, hat schon mancher die Unfassbarkeit seines Erlebens zum Ausdruck gebracht. Wut, Anklage gegenüber Gott und Menschen, depressive Verstimmungen, Selbstmitleid, Angst, Ruhelosigkeit, Sinnleere und Hilflosigkeit – diese Mixtur aus Emotionen bringt uns an unsere Grenzen.
Aus eigener Erfahrung und im Umgang mit Menschen habe ich gelernt, dass Trauern tatsächlich ein Prozess ist, den wir zunächst zulassen müssen, dann ganz individuell durchleben müssen, um ihn dann zu gegebener Zeit abschließen zu können. Wenn das nicht geschieht, ist eine gesunde und hilfreiche Entwicklung, die dann wieder zu neuer Lebensfreude führt, schwierig.
Nur zu gut erinnere ich mich an eine herzensgute ältere Dame. Ihr Mann war an Alzheimer-Demenz erkrankt. Nicht selten war er durch dieses Krankheitsbild und den Krankheitsverlauf ihr gegenüber in Worten barsch, unfreundlich und verletzend oder wurde auch mal handgreiflich. Trotzdem pflegt sie ihn über viele Jahre sehr würdevoll und fürsorglich zu Hause. Nachdem er verstorben war, hat sie es aber nicht geschafft, den Trauerprozess in gesunden Strukturen zu durchleben. Alles musste bleiben wie bisher. Nichts durfte sich verändern. Nach wie vor kochte sie auch für ihn Essen, deckte den Tisch für zwei Personen und tat so, als wäre er immer noch da. Sie hatte sich eine Scheinwelt aufgebaut, die sie schließlich mehr und mehr vom eigenen Leben und von anderen Menschen entfremdete. Wie gerne hätte ich sie damals weiterführend begleitet, aber sie machte ohne Worte durch ihr Handeln deutlich, dass sie nicht dazu bereit war. Sie hatte den Verlust ihres Mannes ausgeblendet.
Die Traurigkeit zuzulassen, sie zu durchleben, führt dazu, den Verlust anzunehmen. Dadurch geschieht innere Klärung, die wieder zum inneren Frieden führt. Aber das braucht Zeit, je nach Persönlichkeit mehr oder weniger. Symbolisch steht dafür das Trauerjahr. Früher wurde das in unserer Gesellschaft durch das Tragen und auch wieder Ablegen von schwarzer Kleidung noch stärker zum Ausdruck gebracht.
Übrigens kennt auch die Bibel ganz unterschiedliche öffentliche Gesten und Zeichen der Trauer. Zum Beispiel wird in 2. Samuel 13,28ff beschrieben, wie König David trauert. Da heißt es, dass er seine Kleider zerriss und sich auf den Boden warf. Sprachlos standen seine Diener um ihn herum, auch sie hatten ihre Gewänder zerrissen. Alle weinten. Ebenfalls von König David lesen wir in 2. Samuel 1,12ff, wie er um Saul und Jonathan weinte und fastete.
Ebenso wurde Asche, meistens aus verbranntem Holz, als ein Zeichen von Leid und Trauer gebraucht, indem man sie entweder auf das Haupt (2.Samuel 13,19) oder auf den mit Sacktuch bekleideten Körper streute (Esther 4,1; Jeremia 6,26). Auch Jesus weinte über den Tod seines Freundes Lazarus (Johannes 11). Er hat sich seiner Tränen und Gefühle nicht geschämt. Trauer ist also nicht unbiblisch oder ein Zeichen von schwachem Glauben, sondern vielmehr ein Gefühl, das uns als Menschen auszeichnet. Die Bibel verurteilt Trauer an keiner Stelle. Auch das Wissen um das ewige Leben führt nicht dazu, dass Trauern verboten oder in ein schlechtes Licht gerückt würde. Wir können Trauer nicht überwinden in dem wir sie ignorieren, sondern nur, indem wir sie durchleben, durch sie hindurch gehen. Denn Frieden werden wir erst finden, wenn wir den Verlust, den wir empfinden, akzeptieren.
Von Trauer zur Freude - wie gut ist es, dass uns Gott auf dieser Wegstrecke nicht allein gehen lässt. Er bleibt an unsere Seite. Er kennt wie kein anderer unsere Gefühle, unser Innerstes. Und es ist letztlich keiner da, der uns besser trösten könnte. Natürlich können wir Menschen einander gute Worte zusprechen. Wir können einander in schwierigen Phasen des Lebens begleiten und füreinander da sein. Wir können füreinander beten. Wir können einander in alltäglichen, organisatorischen, als Christen auch gerade in geistlichen Dingen helfen. Das ist gut und sehr wichtig. Hoffentlich sind unsere Gemeinden und Gemeinschaften, in denen wir zu Hause sind, Orte, in denen Menschen, die Trauer und Leid tragen, das erfahren. „Ein wahrer Gefährte liebt allezeit und ist ein Bruder, der für die Zeit der Bedrängnis geboren ist“ (Sprüche 17,17). Scheuen wir uns also nicht, Hilfe zu suchen und anzubieten. Wenn wir einander helfen und uns gegenseitig ermutigen, unserem Innersten vor Gott Raum zu geben, werden wir entdecken, wie Veränderung geschieht. Gott tröstet, wenn wir untröstlich sind. Gott schenkt Perspektive, wenn wir am Boden zerstört sind. Gott bereitet Wege, wenn wir keine Auswege mehr sehen. So ist Gott, bereitend, fürsorglich und Grund zur tiefen Freude an ihm:
Psalm 31,8 „Ich freue mich über deine Gnade, denn du hast mein Elend gesehen, und meine Angst ist dir nicht gleichgültig.“ Psalm 37,5 „Überlass dem Herrn die Führung deines Lebens und vertraue auf ihn, er wird es richtig machen.“
Jesaja 66,13 „Ich selbst werde euch trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet…“ Psalm 73,28 „Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott, den HERRN, dass ich verkündige all dein Tun.“
Matthäus 5,4 „Gott segnet die, die traurig sind, denn sie werden getröstet werden.“ Offenbarung 21,4+5 „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“
Der Kirchenvater Augustin hat einmal gesagt: „Unsere Seele nährt sich von dem, woran sie sich freut.“ Freuen wir uns an den Zusagen Gottes, dann werden sie lebendig in uns. So kann Neues in uns aufbrechen. Veränderung geschieht durch ihn. In seiner Gegenwart kommt „Brennendes“ zur Ruhe und Wunden werden heil.
Ich wünsche uns, dass wir erleben, wie Freude an Jesus, trotz manchem, was uns traurig macht und schwierig erscheint, in unseren Alltag zurückkehrt. Dass wir etwas von der Schönheit und dem Reichtum unseres Glaubens und unserer Beziehung zu Jesus neu entdecken. Dadurch leben wir in unserm Alltag leichter und unbekümmerter. Weil Gott der Handelnde ist, kann es gelingen, von der Traurigkeit zur Freude durchzudringen.
Psalm 30,12+13 „Du hast meine Trauer in einen Tanz voller Freude verwandelt. Du hast mir die Trauergewänder ausgezogen und mir Freude geschenkt, damit ich dich preise und nicht schweige. Herr, mein Gott, für immer will ich dir danken!“ Seien Sie gesegnet!